Verantwortung der Generationen

Die Erklärung über die Verantwortung der heutigen Generation gegenüber den künftigen Generationen wurde auf der 29. UNESCO-Generalkonferenz im November 1997 in Paris verabschiedet.

Die Generalkonferenz der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, die vom 21. Oktober bis 12. November 1997 in Paris zu ihrer 29. Sitzung zusammengetreten ist -

in Würdigung des Willens der Völker, wie er in der Charta der Vereinten Nationen feierlich niedergelegt ist, "künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren" und die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und allen anderen einschlägigen völkerrechtlichen Übereinkünften verankerten Werte und Grundsätze zu sichern,

in Anbetracht des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, die beide am 16. Dezember 1966 angenommen wurden, sowie des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, das am 20. November 1989 angenommen wurde,

in der Sorge um das Schicksal künftiger Generationen angesichts der entscheidenden Herausforderungen des nächsten Jahrtausends,

in dem Bewußtsein, daß in unserem Zeitalter die bloße Existenz der Menschheit und ihrer Umwelt gefährdet ist,

unter Hinweis darauf, daß die uneingeschränkte Wahrung der Menschenrechte und der demokratischen Ideale eine wesentliche Grundlage für den Schutz der Bedürfnisse und Interessen künftiger Generationen bildet,

unter Betonung der Notwendigkeit der Schaffung neuer, gerechter und globaler, durch Partnerschaft und Solidarität unter den Generationen geprägter Beziehungen sowie der Förderung dieser Solidarität für die Erhaltung der Menschheit,

im Hinblick darauf, daß die Verantwortung der heutigen Generationen gegenüber den künftigen Generationen bereits in diversen Übereinkünften zum Ausdruck kommt, wie beispielsweise in dem von der Generalkonferenz der UNESCO am 16. November 1972 angenommenen Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt, die am 5. Juni 1992 in Rio de Janeiro geschlossen wurden, in der von der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung am 14. Juni 1992 angenommenen Erklärung von Rio über Umwelt und Entwicklung, in der Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien, die von der Weltkonferenz über Menschenrechte am 25. Juni 1993 verabschiedet wurden, sowie in den von der Generalversammlung der Vereinten Nationen seit 1990 verabschiedeten Resolutionen in bezug auf den Schutz des Weltklimas für die heutigen und künftigen Generationen,

in dem festen Willen, durch verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Lösung der gegenwärtigen Probleme der Welt beizutragen, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Bedürfnisse und Interessen der künftigen Generationen nicht durch die Last der Vergangenheit gefährdet werden, und den künftigen Generationen eine bessere Welt zu übergeben,

in dem Entschluß, dafür Sorge zu tragen, daß die heutigen Generationen sich ihrer Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen voll bewußt werden,

in der Erkenntnis, daß der Schutz der Bedürfnisse und Interessen der künftigen Generationen, insbesondere durch Erziehung, elementarer Bestandteil der ethischen Mission der UNESCO ist, in deren Satzung die Ideale von Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden verankert sind, die auf "der Grundlage der geistigen und moralischen Verbundenheit der Menschheit" beruhen,

in dem Bewußtsein, daß das Schicksal der künftigen Generationen weitgehend von Entscheidungen abhängt, die heute gefällt, und von Wegen, die heute eingeschlagen werden, und daß gegenwärtige Probleme wie Armut, technologische und materielle Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung, Diskriminierung und Gefährdung der Umwelt im Interesse sowohl der heutigen als auch der künftigen Generationen gelöst werden müssen,

in der Überzeugung, daß eine moralische Verpflichtung besteht, unter einem weiten, zukunftsorientierten Blickwinkel Verhaltensrichtlinien für die heutigen Generationen zu formulieren -

verkündet am 12. November 1997 feierlich diese Erklärung über die Verantwortung der heutigen Generationen gegenüber den künftigen Generationen

Artikel 1 - Bedürfnisse und Interessen der künftigen Generationen

Es obliegt den heutigen Generationen sicherzustellen, daß die Bedürfnisse und Interessen der heutigen und künftigen Generationen uneingeschränkt gewahrt werden.

Artikel 2 - Entscheidungsfreiheit

Es ist wichtig, alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, um unter gebührender Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten den künftigen wie den heutigen Generationen volle Entscheidungsfreiheit im Hinblick auf ihre politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme zu gewährleisten und sie in die Lage zu versetzen, ihre kulturelle und religiöse Vielfalt zu bewahren.

Artikel 3 - Fortbestand der Menschheit

Die heutigen Generationen sollten unter gebührender Achtung der Würde des Menschen danach streben, den Fortbestand der Menschheit zu gewährleisten. Natur und Form des menschlichen Lebens dürfen folglich in keiner Weise beeinträchtigt werden.

Artikel 4 - Bewahrung des Lebens auf der Erde

Die heutigen Generationen tragen die Verantwortung dafür, den künftigen Generationen eine Erde zu hinterlassen, die nicht eines Tages durch menschliche Aktivität unwiederbringlich zerstört ist. Jede Generation, die die Erde zeitweilig von einer anderen übernimmt, sollte dafür Sorge tragen, daß natürliche Ressourcen vernünftig ausgebeutet werden, das Leben durch schädliche Veränderungen der Ökosysteme nicht beeinträchtigt wird und der wissenschaftlich-technische Fortschritt dem Leben auf der Erde keinen Schaden zufügt.

Artikel 5 - Schutz der Umwelt

1. Um sicherzustellen, daß die künftigen Generationen am Reichtum der Ökosysteme der Erde teilhaben können, sollten die heutigen Generationen nach nachhaltiger Entwicklung streben und die Lebensbedingungen, insbesondere die Qualität und Intaktheit der Umwelt, bewahren.

2. Die heutigen Generationen sollten sicherstellen, daß die künftigen Generationen keiner Umweltverschmutzung ausgesetzt sind, die ihre Gesundheit oder gar Existenz gefährdet.

3. Die heutigen Generationen sollten für die künftigen Generationen die natürlichen Ressourcen bewahren, die zur Aufrechterhaltung und Entwicklung des menschlichen Lebens notwendig sind.

4. Die heutigen Generationen sollten vor der Ausführung größerer Projekte deren mögliche Folgen für die künftigen Generationen berücksichtigen.

Artikel 6 - Menschliches Genom und Artenvielfalt

Unter uneingeschränkter Achtung der menschlichen Würde und der Menschenrechte müssen das menschliche Genom geschützt und die Artenvielfalt gewahrt werden. Durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt sollte die Bewahrung menschlichen und anderen Lebens in keiner Weise beeinträchtigt oder gefährdet werden.

Artikel 7 - Kulturelle Vielfalt und kulturelles Erbe

Unter gebührender Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sollten die heutigen Generationen für die Bewahrung der kulturellen Vielfalt der Menschheit Sorge tragen. Es obliegt den heutigen Generationen, das materielle wie das immaterielle kulturelle Erbe zu definieren und zu schützen und dieses gemeinsame Erbe den künftigen Generationen zu übergeben.

Artikel 8 - Gemeinsames Erbe der Menschheit

Die heutigen Generationen dürfen das völkerrechtlich definierte gemeinsame Erbe der Menschheit unter der Voraussetzung nutzen, das dadurch kein irreparabler Schaden verursacht wird.

Artikel 9 - Frieden

1. Die heutigen Generationen sollten sicherstellen, daß sowohl sie selbst als auch die künftigen Generationen lernen, miteinander in Frieden und Sicherheit sowie unter Achtung des Völkerrechts, der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu leben.

2. Die heutigen Generationen sollten die künftigen Generationen vor der Geißel des Krieges bewahren. Zu diesem Zweck sollten sie die künftigen Generationen nicht den schädlichen Folgen bewaffneter Konflikte sowie aller anderen Formen der Aggression und des Waffengebrauchs, die nicht mit humanitären Grundsätzen in Einklang stehen, aussetzen.

Artikel 10 - Entwicklung und Bildung

1. Die heutigen Generationen sollten die Bedingungen für eine sowohl in individueller als auch in kollektiver Hinsicht gerechte, nachhaltige und universale sozioökonomische Entwicklung der künftigen Generationen schaffen, und zwar insbesondere durch eine gerechte und sorgsame Nutzung der verfügbaren Ressourcen, um die Armut zu bekämpfen.

2. Bildung ist ein wichtiges Instrument der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft. Es sollte dazu genutzt werden, Frieden, Gerechtigkeit, Verständnis, Toleranz und Gleichberechtigung zum Nutzen der heutigen und künftigen Generationen zu fördern.

Artikel 11 - Nichtdiskriminierung

Die heutigen Generationen sollten keine Maßnahmen ergreifen, die zu irgendeiner Form der Diskriminierung der künftigen Generationen führen oder eine solche aufrechterhalten.

Artikel 12 - Umsetzung

1. Staaten, das System der Vereinten Nationen, andere zwischenstaatliche und nichtstaatliche Organisationen, Einzelpersonen sowie öffentliche und private Einrichtungen sollten ihre Verantwortung bei der Förderung der Achtung der in dieser Erklärung niedergelegten Ideale, insbesondere auf dem Wege der Bildung und Ausbildung sowie der Information, uneingeschränkt wahrnehmen und deren vollständige Anerkennung und effektive Anwendung durch alle geeigneten Mittel fördern.

2. In Anbetracht der ethischen Mission der UNESCO wird die Organisation ersucht, die vorliegende Erklärung so weit wie möglich zu verbreiten und im Rahmen ihres Kompetenzbereiches alle notwendigen Schritte zur öffentlichen Bewußtmachung der in ihr verankerten Ideale zu unternehmen.

Quelle: www.unesco.de/infothek/dokumente/unesco-erklaerungen/erklaerung-ueber-die-verantwortung-der-heutigen-generation.htm