Mit den Füßen beten

Wallfahren oder Pilgern ist einer der wenigen ganzheitlichen, intensiv leibhaftigen Glaubensvollzüge des religiösen Lebens. Pilgern ist, wo es nicht zu einer Busfahrt oder einem Flug degradiert wird, tatsächlich „Beten mit den Füßen”. PilgerInnen spüren eine Unmittelbarkeit des Erlebens: Sie selber – leibhaftig – feiern ihren Glauben. Eine Wallfahrt ist nicht etwas, das „über einen” kommt, wo man passiv in der Kirchenbank sitzt und eine Stunde brav zuhört. Wallfahrt ist in höchstem Maße Aktivität – mit allen Sinnen und dem ganzen Körper.

In der modernen Ungewissheitsgesellschaft gewinnt der Leib zusätzliche Bedeutung, weil er als Fixpunkt einer Welt gelten kann, die stets im Fluss ist. Das gilt, so Karl-Heinrich Bette, besonders von jenen Formen der Leiberfahrung, die wir mit dem Begriff „Abenteuer” kennzeichnen. Für ihn ist das in der Moderne erlebte Abenteuer ein „Gewissheitsbeschaffungsprogramm, ... weil gerade der riskierte Körper als eine unhintergehbare Sicherheits- und Gewissheitsbasis gilt.” (Karl-Heinrich Bette). Wallfahren als Wagnis ist ein solches Abenteuer. Sie hat heute mehr denn je die Chance, Menschen Selbstgewissheit, Sicherheit, Klarheit zu vermitteln – schlicht weil sie ein leibhaftiges Geschehen darstellt.

(Michael Rosenberger)